Die Goethe-Universität nimmt Abschied von einem großen Gelehrten
Die Goethe-Universität trauert um einen überragenden Gelehrten:
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Stolleis, der von 1974 bis 2006 als
Rechtswissenschaftler an der Frankfurter Universität gewirkt hat und bis 2009
Direktor des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtgeschichte war, ist nach
kurzer und schwerer Krankheit am 18. März mit 79 Jahren verstorben.
FRANKFURT.
Michael Stolleis hat an der Goethe-Universität öffentliches Recht und
Rechtsgeschichte gelehrt. Als sein Hauptwerk gilt die vierbändige Geschichte
des öffentlichen Rechts in Deutschland, die in zahlreiche Sprachen übersetzt
wurde und Maßstäbe setzte. Sein Engagement für die Goethe-Universität und in
vielen Bereichen des geistigen Lebens lässt sich jedoch kaum erschöpfend
darstellen.
Stolleis kam 1941 in Ludwigshafen am Rhein zur Welt. Sein Vater
war Oberbürgermeister und im Nebenberuf Winzer, Michael Stolleis absolvierte
ebenfalls eine Winzerausbildung. Von 1960 an studierte er Jura, Germanistik und
Kunstgeschichte in Heidelberg und Würzburg, in München wurde er promoviert.
Seine Habilitationsschrift befasste sich mit dem Recht im Nationalsozialismus.
1974 wurde Stolleis Professor an der Goethe-Universität. 1991 erhielt er den
renommierten Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft,
im selben Jahr wurde er Direktor am Max-Planck-Institut für europäische
Rechtsgeschichte. Stolleis wurde mit vier Ehrendoktoraten ausgezeichnet – von
den Universitäten Lund, Toulouse, Padua und Helsinki. Er war zudem Träger des
Bundesverdienstkreuzes mit Stern und des Ordens Pour le Mérite (Vizekanzler des
Ordens). Michael Stolleis war Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen
Akademien, etwa der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.
Mit Michael Stolleis verliert die Goethe-Universität einen ihr
zutiefst verbundenen Wissenschaftler: In unnachahmlicher Weise hat sich Michael
Stolleis mit der Goethe-Universität identifiziert, brachte ihr auch als
MPI-Direktor sein großes Interesse entgegen, hat sich immer für ihre Belange
eingesetzt und war stets mit Rat und Tat zur Stelle – auch nach seiner
Emeritierung im Jahr 2006. Ein großer, weit über die Rechtswissenschaft
hinausreichender Wissensschatz, das Vermögen, die Universitas in den Blick zu
nehmen sowie Redlichkeit und Integrität zeichneten Michael Stolleis als Mensch
und als Gelehrten aus.
Stimmen aus der Goethe-Universität:
„Die Nachricht von seinem Tod hat mich sehr berührt. Michael
Stolleis war nicht nur ein großer Rechtsgelehrter und Intellektueller, er hat
auch viel für die Universität getan und sich lange über seine Emeritierung
hinaus mit viel Tatkraft und Kreativität für deren Belange und für den
wissenschaftlichen Nachwuchs eingesetzt. Und er war einer der Köpfe, die den
Ruf unserer Hochschule weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus verbreitet
haben, indem er wichtige gesellschaftliche Debatten angestoßen und sich daran
beteiligt hat. Ich habe ihn auch persönlich sehr geschätzt, als freundlichen
Kollegen, der immer ansprechbar war. Er wird uns allen sehr fehlen. Mein Mitgefühl
gilt jetzt vor allem Michael Stolleis' Familie, der ich viel Kraft wünsche, um
diesen großen Verlust verarbeiten zu können.“
Prof. Dr. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität
„Michael Stolleis hat die deutsche und europäische Rechtsgeschichte
sowie das Öffentliche Recht maßgeblich geprägt. Mit der Geschichte des
Öffentlichen Rechts hat er ein neues Forschungsfeld etabliert und mit seiner in
viele Sprachen übersetzen vierbändigen Gesamtdarstellung zugleich Maßstäbe
gesetzt. Ebenso hat er sich seit seiner Münchner Habilitationsschrift von
1974 um die Erforschung des nationalsozialistischen Rechts verdient gemacht.
Als grundlagenorientierter, über umfassende Gelehrsamkeit verfügender
Rechtswissenschaftler war er für interdisziplinäre Kooperationen zu gewinnen.
So hat er als Principal Investigator und später als assoziiertes Mitglied des
Exzellenzclusters ‚Die Herausbildung normativer Ordnungen' seit 2007 maßgeblich
zum Erfolg dieses Forschungsverbundes beigetragen. Mit Michael Stolleis hat der
Fachbereich nicht nur einen bedeutenden Wissenschaftler verloren, sondern auch
einen aufgeschlossenen und zugewandten Kollegen. Seine von professoraler
Herablassung freie, dabei aber wissenschaftliche Ansprüche nicht preisgebende
Haltung hat die Zusammenarbeit mit ihm leicht und vor allem vielen Jüngeren Mut
zur Wissenschaft gemacht.“
Prof. Dr. Klaus Günther, Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft
„Das öffentliche Recht in Frankfurt, in Deutschland und in Europa
verliert mit Stolleis einen Gelehrten, der wie kaum ein anderer die Einheit
dieses Faches lebte – in der Verbindung von Forschung und Lehre, in der
Verflochtenheit der europäischen, nationalen und lokalen Dimensionen des
öffentlichen Rechts und nicht zuletzt in der historischen Bedingtheit seiner
aktuellen Problemstellungen. Seine vierbändige Geschichte des öffentlichen
Rechts in Deutschland ist Ausdruck und zugleich Kulminationspunkt dieses
Bemühens, mit dem tieferen Verständnis der großen Entwicklungslinien der
Wissenschaftsgeschichte des Faches die Fäden zusammenzuhalten und stets wieder
neu zusammenzuführen. Dieses Anliegen prägte auch das Engagement von Michael
Stolleis in der Lehre, die er neben seinen Verpflichtungen als Direktor des
Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte weit über das zu
erwartende Maß hinaus ernstnahm. Das von ihm vor vierzig Jahren gemeinsam mit
Hans Meyer initiierte Standardwerk für Studierende und Referendar*innen zum
Staats- und Verwaltungsrecht für Hessen hat er als Mitherausgeber, als Autor
der Abschnitte zum Staatskirchenrecht und zum Sozialrecht und bis zuletzt als
Autor der hessischen Landes- und Verfassungsgeschichte geprägt. Generationen
hessischer Jurastudierender hat es als ‚Meyer/Stolleis' begleitet.“
Prof. Dr. Georg Hermes, Geschäftsführender Direktor des Instituts
für Öffentliches Recht
„Das Institut für Rechtsgeschichte der Goethe-Universität trauert
um Michael Stolleis. Mit ihm verlieren wir einen Wissenschaftler von Weltruf.
Er hat nicht nur durch seine Schriften zur Geschichte des Öffentlichen Rechts
Maßstäbe gesetzt. Neben vielen weiteren Themen, wie dem Sozialrecht, behandelte
er auch intensiv die Geschichte unserer Fakultät. Unermüdlich engagierte er
sich als Lehrer und Förderer des wissenschaftlichen Nachwuchses, unter anderem
über 25 Jahre lang in den verschiedenen rechtshistorischen Graduiertenkollegs
an unserem Fachbereich. Mit Michael Stolleis verlieren wir einen geschätzten
Kollegen und treuen Freund, dessen Rat uns schmerzlich fehlen wird. Wir nehmen
Abschied in Dankbarkeit und tiefer Trauer.“
Prof. Dr. David von Mayenburg, Geschäftsführender Direktor des
Instituts für Rechtsgeschichte
„Michael Stolleis war nicht allein eine Ausnahmeerscheinung als
Rechtshistoriker des öffentlichen Rechts, der Frühen Neuzeit und Moderne sowie
der Juristischen Zeitgeschichte. Auch mit diesen Forschungsgebieten, nicht
zuletzt aber durch seine Persönlichkeit hat er das Max-Planck-Institut für
europäische Rechtsgeschichte seit dem Beginn der 90er Jahre geprägt. Er war
Mentor, Förderer und Vorbild für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
aus aller Welt. Ein engagierter Beobachter und ein gelehrter Erzähler des
Rechts.“
Prof. Dr. Thomas Duve, Direktor des Max-Planck-Instituts für
Rechtsgeschichte und Rechtstheorie
„Michael Stolleis war ein Wissenschaftler, wie es leider nur
wenige gibt. Unbestechlich, mutig und großzügig. In München eine kritische
Studie über ‚Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht' vorzulegen,
dazu gehörte jener Mut, der ihn auch später nie verlassen hat, wenn die
Vergangenheit in die Schranken zu weisen war. Er war ein Winzer nicht nur im
pfälzischen Weinberg, sondern vor allem an der Hochschule, wo er an
Generationen von jungen ‚Rebstöcken' sein Wissen weitergab und seine Kollegen
mit der Lektüre ihrer eben gedruckten Werke überraschte. Ein manchmal
unbequemer, immer kongenialer und wohlwollender Leser, der nicht zu ersetzen
sein wird. Auch nicht der Partner bei den Radtouren in der Haardt und im
Rheintal. Ein guter Freund hat sich verabschiedet. Wie schmerzlich und
traurig.“
Prof. Dr. Frankenberg, Seniorprofessur für Öffentliches Recht,
Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung
„Mit Prof. Michael Stolleis verliert die Wissenschaftliche
Gesellschaft an der Goethe-Universität einen überragenden Gelehrten. Bereits im
Jahr 1992, dem Jahr seiner Ernennung zum Direktor am Max-Planck-Institut, wurde
er zum Mitglied der Gesellschaft gewählt. Es war die fachübergreifende
Gelehrsamkeit, die ihn begeisterte. Über die vielen Jahre hinweg fehlte er bei
kaum einer Sitzung. Er ließ sich von den unterschiedlichsten Bereichen aus
Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften faszinieren und trug zum Diskurs mit
wichtigen, oft entscheidenden Beiträgen aus dem großen Repertoire seines
Wissens bei. Auch seine exzellenten Vorträge bereicherten das geistige Leben
der Gesellschaft, deren Schicksal ihm besonders am Herzen lag. Er diente ihr
als Stellvertretender Vorsitzender, verhandelte erfolgreich mit dem Präsidium
der Universität und bahnte den Weg für die Übernahme neuer Räumlichkeiten im
Gebäude des Forschungsverbunds Normative Ordnungen. Die Aufnahme hervorragender
gelehrter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war ihm ein Herzensanliegen,
auch hier hatte seine Stimme stets großes Gewicht. Neben seiner Schaffenskraft
waren Empathie, Begeisterungsfähigkeit und das Bewusstsein, dass Wissenschaft
Verantwortung trägt für den offenen Diskurs mit der Stadtgesellschaft,
wesentliche Eigenschaften von Michael Stolleis.“
Prof. Dr. Herbert Zimmermann, Präsident der Wissenschaftlichen
Gesellschaft an der Goethe-Universität
„Mit Michael Stolleis verliert die Goethe-Universität eine ihrer
besten Forscherpersönlichkeiten, die weit über ihr eigenes Fachgebiet, die
Rechtsgeschichte, hinaus gewirkt hat. Mit seiner unermüdlichen, stets neuen
Fragen zugewandten Gesprächsbereitschaft beförderte er wie sonst nur wenige
Personen an unserer Universität die interdisziplinäre Kooperation, so im Rahmen
der ‚Frankfurter Wissenschaftlichen Gesellschaft', im Sonderforschungsbereich
‚Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel', im Exzellenzcluster ‚Die
Herausbildung normativer Ordnungen' oder im Forschungskolleg
Humanwissenschaften der Goethe-Universität, zu dessen engagierten Begleitern
Michael Stolleis bis heute gehörte. Zu den Problemen, die ihn ein Leben lang
beschäftigten, gehörte zentral die Frage nach der Lernfähigkeit des
demokratischen Rechtsstaats, deren grundlegende Bedeutung uns gerade heute
deutlich vor Augen steht.“
Prof. Dr. Matthias Lutz-Bachmann, Direktor des Forschungskollegs
Humanwissenschaften der Goethe-Universität
„‚Wer viele Jahre an der Goethe-Universität unter besten
Bedingungen gelehrt und geforscht hat, kann und sollte ihr durch ein Engagement
bei den ‚Freunden' verbunden bleiben.'“ – Mit diesem Zitat von Michael Stolleis
ist trefflich umschrieben, wie stark der Hochschullehrer mit der
Freundesvereinigung der Universität verbunden war. Wir sind sehr traurig. Ich
verneige mich vor einem Freund, einem großzügigen Stifter und einem Botschafter
der Bürgergesellschaft.“
Prof. Dr. Wilhelm Bender, Vorsitzender des Vorstandes der
Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität Frankfurt
Bilder zum Download: http://www.uni-frankfurt.de/99204044
Bildtext: Abschied von einem großen Gelehrten: Am 18. März ist Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Stolleis nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben. (Bild 1: Foto privat, Bild 2: Foto Uwe Dettmar, Bild 3: Christiane Birr)
Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, E-Mail sauter@pvw.uni-frankfurt.de